Erst rechnen, dann schenken
Mit der steigenden Lebenserwartung steigt auch die Zahl der früher eher seltenen Schenkungen von Urgroßeltern an Urenkel. Wer Entsprechendes vorhat, sollte zuvor berechnen, ob dies wirklich die günstigste Variante ist.
Für Letzteres spricht auf den ersten Blick, dass in diesem Falle nicht nur eine, sondern sogar zwei Stufen übersprungen würden, Schenkungsteuer also nur einmal anfällt. Hinzu kommt in vielen Fällen, dass die Zahl der Urenkel größer ist als die der Kinder oder auch Enkel. Es stehen also die Freibeträge gleich mehrfach zur Verfügung.
Indessen ist die Schenkung sogleich an Urenkel nicht immer die günstigste, wie ein unlängst ergangener Beschluss des Bundesfinanzhofs, Az. II B 39/20 belegt: Dort hatte die Urgroßmutter ihren beiden Urenkeln, die beide Enkel ihrer noch lebenden Tochter waren, ein Mietwohngrundstück geschenkt. Die Urenkel reklamierten für sich jeweils einen Freibetrag von 200.000,00 €; das Finanzamt erkannte auf einen solchen von jeweils nur 100.000,00 €. Das Finanzgericht und ihm folgend der Bundesfinanzhof gaben dem Finanzamt recht.
Hierzu muss man wissen: Kinder gehören zur Erbschaftsteuerklasse I. Sie haben einen Freibetrag von 400.000,00 € pro Elternteil. Für „Kinder der Kinder“ reduziert § 16 Abs. 1 Nr. 3 des Erbschaftsteuergesetzes den Freibetrag auf 200.000,00 €, Nr. 4 derselben Vorschrift halbiert ihn für die „übrigen Personen der Steuerklasse I“ nochmals auf 100.000,00 €. Fraglich war im entschiedenen Fall, ob es sich bei den Urenkeln um „Kinder der Kinder“ handelte oder ob hiermit lediglich die Enkel gemeint seien, mit der zwingenden Folge, dass Urenkel dann zu den „übrigen Personen der Steuerklasse I“ zählten, also begünstigt lediglich mit einem Freibetrag von 100.000,00 €. Der BFH hat im letztgenannten Sinne entschieden: „Kinder“ seien nur die Abkömmlinge der nächsten, nicht aber auch die der folgenden Generation.
Interessant ist in diesem Zusammenhang eine weitere Frage, die der BFH angesprochen hat, aber nicht zu entscheiden brauchte: Gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG haben nicht nur Kinder, sondern auch „Kinder verstorbener Kinder“ einen Freibetrag von 400.000,00 €. Fraglich ist, ob dies auch dann gelten muss, wenn beide Generationen, die zwischen Uroma oder Uropa und Urenkel liegen, vorverstorben sind. Dieser Fall, der allerdings in der Praxis sehr selten sein dürfte, harrt noch der Klärung durch den BFH.
Ob es im Einzelfall günstiger ist, an die nächste oder sogleich an die übernächste oder die dann folgende Generation zu schenken, ist eine Frage des Einzelfalls. Dabei sind die verschiedensten Faktoren zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen, etwa das sonstige Vermögen der Schenker, die jeweiligen Freibeträge und der geplante zeitliche Abstand zwischen den Schenkungen oder den möglichen Erbfällen. Hinzu kommen außersteuerliche Fragen, etwa zum Thema Pflichtteilsansprüche. Dies alles kann nur der Fachmann beantworten. Entsprechende Beratung ist also angezeigt.
Dr. Hans Vogt, Rechtsanwalt und Steuerberater