Keine Schätzung einer „Irrtumsquote“ beim Betrug
Das Landgericht verurteilte einen Angeklagten wegen Betruges in 60 Fällen, jeweils in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Kreditwesengesetz (KWG). Zudem stellte die Strafkammer fest, dass er mindestens 1,5 Millionen € aus den zur Verurteilung führenden Straftaten erlangt habe. Im Übrigen wurde der Angeklagte vom Vorwurf weiterer 143 vollendeter und zwölf versuchter Taten des Betruges, wie noch von der Anklage vorgeworfen, freigesprochen. Nach den zu Grunde liegenden Feststellungen des Landgerichtes schloss der Angeklagte unbefristete Darlehensverträge mit Einzelpersonen oder Ehepaaren ab, die überwiegend über provisionsberechtigte Vermittler akquiriert wurden. Dabei verpflichtete er sich zu monatlichen Zinszahlungen. Um die Übergabe des Geldes an sich zu erreichen, erklärte er entweder selbst oder über seine insoweit gutgläubigen Vermittler der Wahrheit zuwider, dass die Gelder sicher angelegt seien und lediglich ein geringes Verlustrisiko bestehe. Grundlage für den vom Landgericht festgestellten Sachverhalt war die Vernehmung von 52 Anlegern. Aus dem Verhältnis von Zeugen, die eine Täuschung bestätigten, und solchen, die nach Ihren Angaben über das Risiko ausreichend aufgeklärt worden waren oder sich keine Gedanken gemacht hatten, nahm die Strafkammer eine Schätzung vor, wonach jedenfalls mindestens 60 Anleger mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in der dargestellten Weise getäuscht worden seien. Hieraus folgerte das Landgericht zugleich auf den angenommenen Vermögensschaden. Diese Vorgehensweise beanstandete der Bundesgerichtshof mit einem Urteil vom 6. September 2017 (Az.: 5 StR 268/17). Denn die mit der abstrakten Zuordnung verbundene Schätzung einer Irrtumsquote auf der Grundlage der Vernehmung eines Teils der Darlehensnehmer halte einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. In Fällen mit individueller Motivation zur Leistung sei grundsätzlich der Irrtum eines jeden Verfügenden konkret festzustellen. Eine Ausnahme, wie dies der BGH für Massenbetrugsfälle bei einfach gelagerten Sachverhalten mit standardisierten, auf massenhafte Erledigung ausgerichteten Abrechnungsverfahren anerkannt habe, sei hier nicht gegeben. Das Landgericht hätte sich vorliegend auch nicht lediglich auf die Vernehmung einer Auswahl von Darlehnsgeber beschränken dürfen. Gleichfalls nicht nachvollziehbar seien die Ausführungen des Landgerichtes zur Schadenshöhe. Die Freisprüche könnten im Übrigen auch deswegen keinen Bestand haben, weil die Strafkammer in allen Fällen ein strafbares Verhalten nach dem KWG festgestellt habe.
Dr. André Neumann, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachanwalt für Strafrecht, Zertifizierter Berater für Steuerstrafrecht (DAA)