Die Patientenverfügung – Zwischenbilanz 2017
Die große Mehrheit der Deutschen lehnt lebensverlängernde Maßnahmen „um jeden Preis“ ab. Nach einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach sind 74 % der Deutschen dieser Auffassung. Der Gesetzgeber hat darauf reagiert und in 2009 die Patientenverfügung gesetzlich verankert (§ 1901a BGB). Seitdem haben Millionen Bürger eine Patientenverfügung errichtet. Allein in 2016 wurden beim Zentralen Vorsorgeregister der Bundesnotarkammer 291.600 Neueintragungen von Patientenverfügungen vorgenommen.
Viele wichtige, in der Vergangenheit heftig umstrittene Fragen sind heute geklärt. Der Gesetzgeber hat entschieden, dass es für die Verbindlichkeit einer Patientenverfügung nicht darauf ankommt, ob bereits ein unumkehrbarer Sterbevorgang eingesetzt hat (§ 1901a Abs. 3 BGB). Daraufhin hat der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofes seine frühere Rechtsprechung zur so genannten passiven Sterbehilfe aufgegeben (Az. 2 StR 454/09). Er erkennt nun den vom Patienten gewollten Behandlungsabbruch auch dann als gerechtfertigt an, wenn dafür aktive Handlungen erforderlich sind (z. Bsp. das Abschalten einer Beatmungsmaschine oder die Entfernung einer Ernährungssonde).
Es gibt keinen Mangel an Formularen, Broschüren und Leitfäden zum Thema Patientenverfügung. Wer heute eine Patientenverfügung errichten will, sieht sich einer Fülle von Veröffentlichungen gegenüber. Insbesondere im Internet kursieren die verschiedensten Vorlagen. Davon halten viele einer gerichtlichen Überprüfung nicht stand. Der Bundesgerichthof hat in einer Grundsatzentscheidung vom 06.07.2016 (Az. XII ZB 61/16) befunden, dass die bloße Ablehnung „lebenserhaltender Maßnahmen“ nicht ausreiche. Er fordert die Benennung bestimmter ärztlicher Maßnahmen oder die Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten oder Behandlungssituationen. Daran fehlt es bei vielen Formularen. Die Lage ist so gravierend, dass sich die Bundesnotarkammer gehalten sieht, auf der Homepage des Zentralen Vorsorgeregisters den Hinweis anzubringen: „Insbesondere raten wir davon ab, Formulare aus dem Internet zu verwenden: Sie sind häufig veraltet, entsprechen nicht aktuellen juristischen Standards und können die erforderliche qualifizierte Beratung nicht ersetzen.“
Für den praktischen Erfolg einer Patientenverfügung ist entscheidet, wer sie später durchsetzt. Das sollte eine Person des besonderen Vertrauens sein, der eine Vorsorgevollmacht erteilt wurde. Anders als bei einer einfachen Betreuungsverfügung muss dann regelmäßig kein Betreuer vom Gericht bestellt werden. Die Vorsorgevollmacht und die Patientenverfügung müssen sorgfältig aufeinander abgestimmt sein. Ansonsten drohen Widersprüche und Auslegungsfragen. Wegen des Grundsatzes: „Im Zweifel für das Leben“ führen solche Unzulänglichkeiten oftmals dazu, dass die Patientenverfügung im praktischen Ergebnis wirkungslos bleibt. Ein „Stückwerk“ aus Dokumenten verschiedener Quellen sollte daher vermieden werden. Dasselbe gilt für das Nebeneinander mehrerer Vollmachten oder Patientenverfügungen. Die beste Vorsorge bietet eine individuelle, fachkundige Gestaltung aus einem Guss.
Sascha Unger, Fachanwalt für Erbrecht, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht