App-Plattformen zwischen Innovation und Kartellverstoß – Epic Games vs. Apple („Fortnite“)

Die App-Plattformen von Apple, Inc. („Apple“) und Alphabet, Inc. („Alphabet“) sehen sich aktuell in einer Vielzahl von Ländern einer Serie kartellrechtlicher Angriffe seitens App-Entwicklern, Kartellrechtsbehörden und nationalen Gesetzgebern wegen missbräuchlichen Ausnutzens von Marktmacht und unlauteren Wettbewerbs ausgesetzt.

Dieser Beitrag verschafft einen Überblick über die einzelnen Angriffe und die allen gemeinsam zugrundeliegende grundsätzliche kartellrechtliche Argumentation. Die Kenntnis dieser Argumentation und der Entwicklung der jeweiligen Angriffe ermöglicht es App-Entwicklern, sich rechtssicher in den jeweiligen Ländern aufzustellen und ihr Geschäftsmodell- und Bezahlmodell vorausschauend und unter Berücksichtigung nationaler Besonderheiten weiterzuentwickeln. 

  1. Wirtschaftlicher Kontext: Der Aufstieg von Apple, Inc. mit Hilfe des App Stores

Dem Unternehmen Apple, Inc. („Apple“) ist sein Aufstieg zum Unternehmen mit der gegenwärtig größten Marktkapitalisierung weltweit maßgeblich über die vollständige Einbettung seiner Hardware in ein stetig erweitertes, für den End-Kunden vergleichsweise leicht zu handhabendes und relativ sicheres proprietäres „Ökosystem“ digitaler Dienstleistungen (iTunes, Apple Music, Apple TV etc.) mit Umsatzerlösungen von jährlich ca. 53,8 Milliarden U.S. Dollar gelungen. Das Kernelement dieses auf der Programmiersprache iOS beruhenden Ökosystems ist der „App Store“. Dieser ist eine digitale Plattform, in die Drittentwickler ihre Apps nach Passieren strenger, von Apple erstellter und überwachter Prüfkriterien einstellen dürfen gegen Versprechen einer grundsätzlich 15-30%igen Provision. Außerdem verbietet Apple es, dass Dritte ihre eigenen App-Plattformen auf der Hardware von Apple und über den App Store installieren.

  1. „Umleitungsverbote“ in den Geschäftsbedingungen des App-Stores im Licht des Kartellrechts

In den U.S.A. ist der maßgebliche kartellrechtliche Prüfmaßstab das Verbot der „Monopolisierung von Handelsbeziehungen“ in „Section 2“ des Bundesgesetzes „Sherman Antitrust Act of 1890“. In der Europäischen Union handelt es sich um Artikel 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union („AEUV“). Diese Norm verbietet das missbräuchliche Ausnutzen einer beherrschenden Marktstellung. Als Beispiel führt Artikel 102 a) AEUV das „Erzwingen unangemessener Geschäftsbedingungen“ an. Im Fokus der Angriffe gegen Apple stehen sogenannte „Umleitungsverbote“ („anti-steering provisions“) in den Geschäftsbedingungen des Apple-App Stores. Die Umleitungsverbote von Apple verbieten es den App-Entwicklern darauf hinzuweisen, dass Nutzer die entgeltpflichtigen Versionen der App über Web-Seiten und Bezahlsysteme außerhalb der proprietären Bezahlsysteme des Apple-App Stores und damit unter Vermeidung der von Apple verlangten 15-30%-Provision bezahlen können. Bis zum Lostreten der aktuellen Angriffswelle hatten die App-Entwickler die Geschäftsbedingungen von Apple einschließlich der hohen Provisionslast weitgehend hingenommen. Anderenfalls hätten sie sich womöglich darum gebracht, von der enormen Reichweite und dem sehr hohen Ansehen des App-Stores bei den App-Nutzern zu profitieren. Demensprechend hat es bisher wenig Gelegenheit für Gerichte weltweit gegeben, die Rechtmäßigkeit der Geschäftsbedingungen von Apple zu klären.

  1. Urteil des Bundesbezirksgerichts für Nordkalifornien vom 10. September 2021 (Case No. 4:20-cv-05640-YGR) und Revision von Apple zum Bundesberufungsgericht am 9. Oktober 2021

Das Bundesbezirksgericht („U.S. District Court“) in Oakland bei San Francisco beschäftigt sich in der über 185 Seiten begründeten Entscheidung mit dem Angriff des Spielentwicklers Epic Games, Inc. („Epic“) gegen Apple.

Link zum Urteil.

Sachverhalt

Epic ist der Entwickler des sehr erfolgreichen und schon länger maßgeblich über den App Store vertriebenen Videospiels „Fortnite“. Epic hatte seine App so neu programmiert und im Sommer 2020 in den App Store eingestellt, dass die Spielenutzer sich motiviert sahen, das Spiel außerhalb des App Stores in Epics eigenem Bezahlsystem „Epic Direct Payment“ zu bezahlen. Apple hatte Fortnite dann umgehend aus dem App Store entfernt. Daraufhin hat Epic seine kartellrechtlich begründete Klage beim Bundesbezirksgericht eingereicht.

Entscheidung und Revisionsantrag

Das Bundesbezirksgericht hat die bundeskartellrechtliche Argumentation von Epic zwar weitestgehend zurückgewiesen und Epic wegen Vertragsbruchs zum Schadensersatz verurteilt. Der Schadensersatz beläuft sich auf 30% plus Zins auf den von Epic zwischen August 2020 und dem Urteilsauspruch über Epic Direct Payment eingesammelten Entgelts. Das Bundesbezirksgericht hat Apple zugestanden, über den App Store kein Monopol über den Markt für mobile Spiele missbräuchlich auszunutzen. Apple habe den App Store unter Einsatz hoher Investitionen und Kreativität aufgebaut und sei in erster Linie ein erfolgreicher Marktteilnehmer. Trotzdem hat das Bundesbezirksgericht auch Apple wegen Verletzung kalifornischen Wettbewerbsrechts sofort vollziehbar dazu verurteilt es zu erlauben, dass App-Entwickler in ihrer App im App Store auf Bezahlmöglichkeiten außerhalb des App Stores hinweisen. Epic dürfe innerhalb der App einen Link zu einer Internet-Seite platzieren, über die Interessenten und Nutzer ein Konto einrichten, verwalten und Entgelte entrichten können. Nachdem schon Epic die Überprüfung dieser Entscheidung beim 9. Bundesberufungsgericht („Court of Appeals“) beantragt hatte, hat dies am 9. Oktober 2021 auch Apple beantragt.  

  1. Vergleich zwischen Apple und der japanischen Kommission für fairen Handel („JFTC“), 1. September 2021

Sachverhalt

Bereits Anfang September 2021 hatte Apple eine Untersuchung der JFTC im Wege eines Vergleichs beigelegt. Dies war geschehen, nachdem die japanische Kartellrechtsbehörde die Umleitungsverbote für sogenannte Reader-Apps wie Netflix, Kindle und Spotify als rechtswidrig beurteilt hatte. Reader-Apps sind Apps, welche es ihren Nutzern erlauben anderswo erworbene Inhalte zu sehen, zu lesen oder zu hören. Im Beispiel von Netflix lag es so, dass die iOS-App von Netflix nach den Apple-Bedingungen zwar auf die Möglichkeit hinweisen durfte, sich extern bei einem Netflix-Konto anzumelden, aber keine Möglichkeit enthielt, sich über einen Link in der App ein Netflix-Konto extern zu eröffnen. Der ausdrückliche Hinweis darauf, dass die Nutzer sich überhaupt extern anmelden müssen, war nicht erlaubt.

Vergleichsinhalt

Apple hat sich mit der JFTC darauf geeinigt, den Entwicklern von Reader-Apps zu gestatten, in der iOS-App einen „einzigen“ Link zu ihrer Website bereitzustellen, der den Nutzern bei der Einrichtung und Verwaltung ihres Kontos hilft.

  1. Kartellbeschwerde gegen Apple zur Competition Commission of India (CCI), 2. September 2021, und Untersuchung der CCI gegen Alphabet

Die als gemeinnützig registrierte Vereinigung „Together We Fight Society“ hat Anfang September 2021 Beschwerde bei der indischen CCI gegen Apple eingereicht, um im Interesse von Verbrauchern, Start-up-Unternehmen und indischen Anbietern elektronischer Bezahlsysteme gegen die Provisionsbedingungen im App Store vorzugehen. Im Kern argumentiert die Beschwerde, dass indische Anbieter elektronischer Bezahlsysteme ein sehr viel niedrigeres Entgelt verlangen (1-5% des Umsatzes) und dass die Provisionsbedingungen App-Entwicklern missbräuchlich die Entwicklung einer direkten Geschäftsbeziehung zu ihren Nutzern untersagen. Bereits im Jahr 2019 hatte die indische CCI ein Verfahren gegen Alphabet wegen der Provisionsbedingungen des Google Play Stores eingeleitet, das bisher nicht abgeschlossen ist. 

  1. Koreanisches „Anti-Google Law“, 31. August 2021

Das mit überwältigender Parlamentsmehrheit verabschiedete Gesetz verbietet den Betreibern von App-Stores mit dominanter Marktposition in Korea, den Anbietern von Inhalten und Reader-Apps Zahlungssysteme aufzuzwingen. Es verbietet ihnen weiter, die Überprüfung mobiler Inhalte in "unangemessener Weise" zu verzögern oder zu löschen.

  1. Klage kleinerer App-Entwickler gegen Apple beim Bundesbezirksgericht in Oakland, vorläufiger Vergleich und Bereitstellung eines Schadensersatzfonds über 100 Millionen U.S. Dollar, 27. August 2021

Eine Vielzahl kleinerer App-Entwickler hatte wegen der Umgehungsverbote wie Epic Klage gegen Apple beim Bundesbezirksgericht in Oakland eingereicht.

Um einen nachteiligen Urteilsauspruch zu vermeiden, hat Apple im Rahmen eines vorläufigen, vom Gericht zu bestätigenden Vergleichs zugestimmt, dass die App-Entwickler Nutzer außerhalb der IoS-App per E-Mail kontaktieren und ihnen alternative Zahlungsoptionen außerhalb des App Stores offerieren dürfen. Das bedeutet zum Beispiel, dass einem Nutzer, der ein Abonnement über den App Store gekauft hat, angeboten werden könnte, seine Zahlung auf eine Kreditkarte umzustellen – was gleichzeitig den Gewinn des App-Entwicklers steigert. Zusätzlich hat Apple sich zur Bereitstellung eines Schadensersatzfonds verpflichtet. Auf der Grundlage des Vergleichs müssen iOS-Apps aber nach wie vor ausschließlich In-App-Zahlungen über das Apple-eigene System anbieten, das bei jeder Transaktion einen Anteil von 15 bis 30 % berechnet, und es ist ihnen nach wie vor untersagt, den Nutzern mitzuteilen, dass es auch anderswo andere Zahlungsmöglichkeiten gibt. Insgesamt 100 Millionen U.S. Dollar sollen unter den App-Entwicklern verteilt werden, die in den letzten sechs Jahren weniger als eine Million U.S. Dollar verdient haben. Zusätzlich garantiert Apple unter anderem, mehr Flexibilität bei der Preisgestaltung im App Store zu ermöglichen und sein "Small Business Program" für mindestens 3 Jahre fortzuführen. Dieses Programm senkt die Provision für Entwickler, die weniger als 1 Million Dollar pro Jahr verdienen, von 30 % auf 15 %.

  1. Parteiübergreifender U.S.-Gesetzgebungsvorschlag („Open Markets Act“) der U.S.-Senatoren Blackburn, Blumenthal und Klobuchar vom 11. August 2021

Der von den drei demokratischen und republikanischen U.S.-Senatoren eingebrachte Gesetzgebungsvorschlag verbietet Apple und Alphabet das Beharren auf Umgehungsverboten. Er erlaubt Dritten zudem die Installation eigener App-Plattformen in den von Apple und Alphabet kontrollierten Ökosystemen. Der Gesetzgebungsvorschlag zielt darauf ab, die behauptete Marktdominanz von Apple und Alphabet zu brechen, die Kreativität von App-Entwicklern besser zu honorieren und Verbrauchern den Zugang zu niedrigeren Preisangeboten zu ermöglichen.

  1. Entscheidung der EU-Kommission über Einleitung eines Klageverfahrens wegen Beschwerde von Spotify, Inc. gegen Apple, 30. April 2021

Im März 2019 hat Spotify, Inc. („Spotify“) eine Kartellrechtsbeschwerde gegen Apple wegen der 15-30%-Provision eingereicht. Das kartellrechtswidrige Verhalten bestehe an erster Stelle darin, dass der App Store "sowohl als Spieler als auch als Schiedsrichter agiert, um andere App-Entwickler absichtlich zu benachteiligen". So zwinge Apple Spotify und andere Dienste entweder "eine 30-prozentige Steuer auf Einkäufe zu zahlen, die über Apples Zahlungssystem getätigt werden" oder hinzunehmen, dass Spotify-Nutzer etwa nicht „auf Premium upgraden“ können innerhalb der App. So zieht es Spotify gegenwärtig zur Vermeidung der Provision vor, die Upgrade-willigen Nutzer mit der folgenden Nachricht zu konfrontieren: „Sie können nicht innerhalb der App auf Premium upgraden; wir wissen, das ist nicht ideal“. All dies zwinge Spotify dazu, den Preis für seine Premium-Mitgliedschaft künstlich in die Höhe zu treiben, "weit über den Preis von Apple Music". Mit anderen Worten: Indem Apple als „Gatekeeper“ für Apps wie Spotify fungiere und gleichzeitig eine konkurrierende App anbiete, konkurrier Apple auf unfaire Weise. Die EU-Kommission hat am 30. April 2021 entschieden, Apple wegen Verletzung von Artikel 102 AEUV zu verklagen. Im Ergebnis kann dies zu einer Geldbuße von bis zu 10% der von Apple weltweit generierten, jährlichen Umsatzerlöse führen, also in Höhe von bis zu 27 Milliarden U.S.-Dollar gemessen an den Umsatzerlösen in 2020 (274,5 Milliarden U.S. Dollar). 

  1. Einleitung einer Untersuchung gegen Apple durch die britische „Competition and Markets Authority“ (CMA), 4. März 2021

Beschwerden von App-Entwicklern gegen die Provisionsbedingungen des App Stores hat auch die britische CMA im März 2021 zum Anlass genommen, ein Verfahren gegen Apple wegen missbräuchlichen Ausnutzens von Marktmacht einzuleiten.

Roland C. Kemper LL.M., Rechtsanwalt