Einsatz der üblichen oder der vereinbarten Miete bei der Ermittlung des Ertragswertes
Der Bundesfinanzhof (BFH) hatte im Urteil vom 05.12.2019, Az. II R 41/16 eine interessante Frage zu entscheiden: Zum Nachlass gehörte eine Immobilie, die mit 14 Wohnungen und einer Gewerbeeinheit bebaut war. Alle Einheiten waren vermietet, sodass für die Ermittlung des erbschaftsteuerlich maßgeblichen Ertragswerts von den jährlichen Mieterträgen auszugehen war. Letztere bestimmen sich, wenn es nicht ausnahmsweise um eine Vermietung an nahe Angehörige geht, im Grundsatz nach der vereinbarten Miete. Hiervon macht jedoch § 186 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 des Bewertungsgesetzes (BewG) eine Ausnahme: Wenn die vereinbarte Miete - nach oben oder unten - um mehr als 20 % von der ortsüblichen Miete abweicht, tritt an Stelle der vereinbarten Miete die übliche Miete.
Im vom BFH entschiedenen Fall hatte der Erbe für vier Einheiten die vereinbarte Miete angesetzt, für die anderen elf Einheiten jedoch die (niedrigere) ortsübliche Miete, nämlich den im örtlichen Mietspiegel angegebenen Mittelwert für vergleichbare Mietobjekte. Während er bei Ansatz der tatsächlich vereinbarten Mieten auf einen jährlichen Rohertrag der Immobilie von rund 130.000,00 € gekommen wäre, kam er so lediglich zu einem solchen von rund 110.000,00 € und damit einem entsprechend niedrigeren Ertragswert und einer demgemäß niedrigeren Erbschaftsteuer. Das Finanzamt - und sich ihm anschließend der BFH - machten diese Rechnung nicht mit: In Mietpreisspiegeln sei üblicherweise nicht nur der Mittelwert angegeben, sondern eine Mietpreisspanne, also eine Miete „von … bis … € pro m².“ Nur wenn - bei einer relativ niedrigen Miete - der untere Rahmen und - bei einer relativ hohen Miete - der obere Rahmen dieser Mietpreisspanne um mehr als 20 % überschritten werde, sei die vereinbarte Miete nicht mehr „üblich“ und daher an ihrer Stelle die übliche Miete, also beispielsweise der Mittelwert laut Mietspiegel, anzusetzen. Der BFH hat also - was sich im Einzelfall zugunsten oder zuungunsten des Erben auswirken kann - den Bereich dessen, was noch im Rahmen der üblichen Miete liegt, nach oben und unten erheblich erweitert.
Für die Praxis kommt diesem Urteil eine große Bedeutung zu, vor allem wenn es sich um wirklich werthaltige Nachlassimmobilien handelt oder auch schon dann, wenn eine ungünstige Erbschaftsteuerklasse mit nur niedrigen Freibeträgen greift, z.B. bei der Vererbung oder einer Schenkung an Geschwister oder an Neffen oder Nichten. Ob dies Anlass zu Gestaltungen zu Lebzeiten sein kann, kommt darauf an: Eine den oberen Rahmen der Üblichkeit knapp unterschreitende Miete wird der Vermieter (künftiger Erblasser) im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten vielleicht noch entsprechend erhöhen, um den Üblichkeitsrahmen zu überschreien und somit zum Ansatz der niedrigeren üblichen Miete zu gelangen. Ebenso aber kann ein Vergleich mit dem Mietspiegel für den „großzügigen“ Vermieter Anlass sein zu prüfen, ob nicht doch eine Mieterhöhung angezeigt und durchsetzbar ist, damit anstelle der höheren üblichen Miete die dann weniger als 20 % unter dem unteren Spanne der üblichen Miele liegende vereinbarte Miete angesetzt werden kann.
Dr. Hans Vogt, Rechtsanwalt und Steuerberater